Im Flachland für die Berge lernen - Wanderworkshop des Deutschen Alpenvereins
Eine lustige Runde sitzt da an diesem Samstagmorgen um den Küchentisch. Die Eier sind gekocht. Heißer Kaffee dampft in den Bechern. Brötchen werden geschmiert. Alle haben schon gemeinsam eine Stunde Yoga absolviert. Auf der schönen Holzterrasse war es dafür zwar noch zu kühl. Aber wozu hat das Ferienhaus eine geräumige Wohnküche? Einfach die Möbel an die Seite schieben, Matten und Decken ausbreiten, Blumen aufstellen und ein paar Räucherstäbchen anzünden. Schon kann es los gehen, mit dem Dehnen, Strecken, Singen und Atmen. Das sorgt für gute Laune. Nun freuen sich alle auf das gemeinsame Frühstück.
Aber eigentlich sind die zehn Teilnehmer:innen aus Hamburg wegen etwas anderem nach Holnis im Norden von Schleswig-Holstein angereist. Beim Wanderworkshop des Deutschen Alpenverein (DAV) wollen sie ein Wochenende lang Grundlagen lernen und auf gemeinsamen Touren die Umgebung erkunden. Auf den Wegen der Halbinsel Holnis und auf denen der gegenüber liegenden Seite, an der Südküste Dänemarks, lassen sich sicherlich keine neuen Höhenmeter-Rekorde aufstellen. Dafür geht es entlang der Ostseeküste der Flensburger Förde durch eine malerische und sehr abwechslungsreiche Landschaft. Deiche, Klippen, Salzwiesen, Wälder und Moore wechseln sich mit kleinen Ortschaften und Gehöften ab. Große Teile der Routen führen durch Naturschutzgebiet.
Um sich Gehör zu verschaffen, klopft Martina Krusekamp-Streng mit ihrem Messer gegen eine Wasserflasche. "Ich fange schon mal mit ein bisschen Theorie an, während Ihr noch eure Stullen schmiert." Dann breitet die Leiterin des Workshops eine Wanderkarte aus, um die Tagesroute zu erläutern. Anschließend gibt sie Tipps zur Vorbereitung von Hüttentouren im Alpinen. Wie rechtzeitig müssen die Unterkünfte gebucht werden? Wie komme ich sicher über Gletscher und Schneefelder? Wo gibt es zuverlässige Infos zum Wetter in den Bergen? Welche Notruf Apps taugen etwas?
Es gibt vieles zu beachten: die richtige Kleidung und Ausrüstung, Kondition und Wohlbefinden der Gruppenmitglieder, Betriebszeiten der Seilbahnen, Karten im Maßstab 1: 25.000. Zwar löst der Rat, sich vor Beginn jeder Tour die Fußnägel zu schneiden, zunächst Gelächter aus. Ihn zu beherzigen aber hilft Schmerzen zu vermeiden. "Bei dem derzeitigen Wanderboom ist der DAV mit seinem Know-How und seinen Strukturen gefragt", weiß die selbstständige Projektmanagerin für Marketing, die sich ehrenamtlich in der Hamburger Sektion engagiert. "Unsere beiden Kinder sind jetzt alt genug, und mein Berufsleben lässt das wieder zu."
Draußen hat sich allmählich die Sonne durch die Wolkendecke gekämpft. Ein herrlicher Maitag liegt vor uns. Alle wollen nach der Theorie dringend in die Wanderschuhe. Schnell ist die Küche aufgeräumt. Sachen packen und Sonnenschutz auftragen. Haben alle genug zum Essen und Trinken dabei? Ein Set für die Erste Hilfe hat Martina Krusekamp-Streng im Rucksack.
Das Aufwärmen und Dehnen vor der Tür, fällt kurz aus. Schließlich gab es das schon ausführlich beim Yoga. Über eine Wiese mit gelben Löwenzahn-Blüten geht es nur wenige Hundert Meter zum Strand. Dort stapfen wir durch den hellen und feinen Sand. Seicht plätschert die Ostsee an den Küstensaum. Die Oberfläche des glasklaren Wassers glitzert in der Sonne. "Ach, ist das schön", entfährt es Lioba Büdinger.
Alle nicken. Mit ihrem Lebensgefährten Stefan Becker wohnt sie an den Harburger Bergen. "Wir wollten unbedingt einmal woanders wandern und etwas Neues erkunden", sagen die Beiden. Richtpause. Die meisten haben das Wort noch nie gehört. Sind die Riemen am Rucksack in der richtigen Position? Möchte jemand den Pullover ausziehen? Die Stiefel nach schnüren? "Wenn das alle einzeln zu unterschiedlichen Zeiten erledigen, müssen wir ständig anhalten und finden keinen Rhythmus", erklärt Martina Krusekamp-Streng.
Weiter geht es über weich federndes Seegras, kollernde Kiesel und knirschende Muschelschalen. Auf einer Uferbefestigung aus wuchtigen Findlingen üben wir Trittsicherheit, setzen unsere Füße mit Bedacht auf teils wackelige, unebene, schartige oder feuchte Steine. "Sucht Euch ein flaches Stück Stein, auf das ihr den ganzen Fuß platzieren könnt", ruft Martina Krusekamp-Streng.
Auf dem folgenden Schotterweg lässt es sich wieder unbeschwert ausschreiten - und den Blick genießen. Das leuchtende Gelb der Rapsfelder unter blauem Himmel, die frischen, grünen Wiesen, die Reet gedeckten Häuser, die blühenden Kirschbäume. Gibt es eine schönere Zeit im Jahr? Fast übersehen wir die Gedenksteine, die von einer kurzen Station Theodor Fontanes berichten sowie von einem gefallenen Soldaten der dänischen Marine. 1848 tobte hier ein deutsch-dänischer Grenzkrieg. Heute grüßt man sich zum Glück auf dem Wanderweg mit einem freundlichen God Dag.
Wir erreichen die Spitze der Halbinsel Holnis. Ausflügler und Wanderer haben hier über die Jahre aus Feldsteinen und Findlingen fast einen Skulpturen-Park aufgeschichtet. "Der Ort ist voller Magie." Lioba Büdinger blickt über das Wasser zu beiden Seiten der Halbinsel. Ein kalter Wind weht von Norden über die See. Zum Glück haben alle Jacken und Pullover im Rucksack.
Nach einer weiteren halben Stunde warten zwei NABU-Referentinnen mit geschulterten Fernrohren auf uns, um die Besonderheiten des Naturschutzgebietes zu zeigen. Durch einen Tunnel aus blühenden Weissdornbüschen, erklimmen wir die Klippen, überqueren von Highlandern gepflegte Uferlandschaft, machen einen Abstecher zu Salzwiesen und dem kleinen Noor, was im Dänischen Haff oder Strandsee heißt. Holnis liegt auf der Zugroute zahlreicher Vögel. Alle dürfen mal einen Blick durch die Fernrohre werfen. Neben zahlreichen Enten- und Gänsearten, Austernfischern, Kibitzen oder Alpenstrandläufern gibt es hier auch Rote-Liste-Vögel wie den Sandregenpfeifer zu sehen. Löcher in der Steilküste zeugen von brütenden Schwalben. Und mit Glück entdeckt man im Wasser Schweinswale, die hier regelmäßig vorbei tümmlern.
Durch einen Buchenmischwald geht es zurück, vorbei an feuchten Senken mit Erlen, Eschen und Binsen. Zartes, helles Grün überall. Dazwischen blüht ein Meer weißer Anemonen. Bemoostes Totholz zeugt von behutsamer Forstwirtschaft. Wir baden im Wald.
Bei der Rückkehr scheint die Abendsonne auf das Ferienhaus. Ein Teil der Gruppe setzt sich zum Sundowner vor die Tür. Die anderen beginnen in der Küche die Zutaten für die Bolognese zu schnippeln. Alle plaudern angeregt miteinander. Obwohl die meisten sich erst bei dem Vorbereitungstreffen in Hamburg kennen gelernt haben. "Ich bin nicht der Typ zum Alleine-Wandern", sagt Ursula Maier lachend. Für sie ist der Workshop ein doppeltes Geschenk. Hat sie doch bei der Verlosung der Ferienhaus-Agentur Feline einen Gutschein für das Wochenende gewonnen. Morgen geht es mit dem Bus nach Dänemark. An der Küste dort wird ein Tagesabschnitt auf dem Gendarmstien gewandert, dem ehemaligen Weg der dänischen Grenzpolizei. Aber erstmal freuen sich alle auf das Essen. Und darauf, erschöpft aber glücklich in die gemütlichen Betten zu sinken.
Sie haben auch Lust bekommen, die Halbinsel Holnis zu bewandern? Einen Teil der Route haben wir hier für Sie aufgezeichnet:
Weitere Routen auf Holnis finden Sie auf unserem Komoot-Profil.
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